Das Mediengesetz oder der Schwanengesang der Schweizer Medienelite

Um die Jahrtausendwende war die Publicitas (oder um genauer zu sein, die PubliGroupe, die Holding Gesellschaft der Publicitas), der grösste Medienkonzern der Schweiz mit einem Jahresumsatz von ca. 2 Milliarden Franken. Davon stammte der grösste Teil aus einem lauschigen Quasimonopol im Schweizer Printinseratemarkt.

Wollte jemand in einer Zeitung inserieren, so wurde das gegen Entgelt von der lokalen Publicitas-Filiale gerne veranlasst. Die Schalterzeiten der Filiale Bern waren von morgens 830 bis 1130 und nachmittags 1330 bis 17h, am Freitag 1630. Todesanzeigen wurden ausnahmsweise auch am Sonntagnachmittag angenommen. Kein Scherz.

Fast sämtliche Schweizer Verleger hatten die Vermarktung ihrer Inserateflächen in ihren Zeitungen an die Publicitas abgegeben. Das Geschäft florierte, generierte hohe Gewinne für alle Beteiligten. Auch wenn die Verleger bisweilen an der Dreikönigstagung einander auf den Wecker gingen, so hatte man sich arrangiert (davon später mehr): Alle Verlage, namentlichen die Kleinen wie z.B. die Linth Zeitung, kriegten etwas ab vom nationalen Werbekuchen, besonders die Migros und Coop Mittwoch und Donnerstag Aktionsseiten. Alle waren happy.

Dann kam das Internet*.

Die folgende Illustration bringt die Situation auf den Punkt.

Zwei Anekdoten als Veranschaulichung. Um die Jahrtausendwende war NZZ Online das führende Schweizer Online-Medium und das sowohl punkto Inhalt wie auch punkto Reichweite. Entstanden durch die Eigeninitiative von ein paar Innovationsköpfen bei der alten Tante als quasi als ‘Skunk-Works’ Projekt, gewann es mit der zunehmenden ‘Verinternetisierung’ der Schweiz (primär die Verfügbarkeit von billigen Einwahlknoten) an Lesern. Aber klar der Online-Kanal war klein im Vergleich zur damaligen Print-Ausgabe der NZZ.

Irgendwann kurz nach der Jahrtausendwende hat uns Hans-Peter Rohner, damaliger Konzernchef der PubliGroupe zur Geschäftsleitung der NZZ mitgenommen. Die jungen Wilden (ja so wurden wir intern bei der P betitelt) sollten sich mal mit einem renommierten Verlag über dieses neue Ding ‘Internet’ austauschen. Einen CEO kannte die damalige NZZ nicht. Der Chefredaktor war de facto der Alleinherrscher im Haus.

So kam es, dass wir in der Falkenstrasse sassen und uns der damalige Chefredaktor mit väterlichem Ton folgendes erklärte: «Wissen Sie wir haben schon die Ölkrise überlebt, wir werden auch das Internet überleben. Wie die Ölkrise geht auch das Internet wieder weg.».

Ein paar Jahre später wurde NZZ Online in die NZZ eingemeindet und vorbei war es mit der Marktführerschaft.

Als wir mit 2005/2006 mit der Idee für local.ch schwanger gingen, machte das schnell die Runde bei der Verlegerschaft. Kunststück: Das Telefonbuch lebte von Kleinanzeigen wie die Zeitungen auch. Und wir wollten diesen Teil vom Markt aggressiv gegen neue Spieler wie Google (Google Maps anyone…?!) verteidigen.

So wurde ich eines Tages mit meinem damaligen Chef Robert Schmidli, seines Zeichens Chef der GelbenSeiten, eines Gemeinschaftsunternehmens mit der Swisscom und ihrer Tochter Directories, nach Chur eingeladen. Genauer in den damaligen Hauptsitz der Südostschweiz zu Herrn Lebrument, gleichzeitig Besitzer der Südostschweizer Mediengruppe und damaliger Präsident des Verlegerverbands.

Röbi und ich wurden am Haupteingang von Herrn Lebrument sehr charmant empfangen und nach oben in sein grosses Besprechungszimmer geführt. Röbi und er haben allerlei Sotiserien ausgetauscht. Inhalt hatte das Gespräch keines.

Bis Herr Lebrument sich erhob und mich bat ihm zu folgen. Er zeigte mir eine eingefärbte Schweizer Karte. Nur scheinbar waren die Kantone in unterschiedlichen Farben dargestellt. Eigentlich bezeichneten die unterschiedlichen eingefärbten Gebiete die jeweiligen Verteilgebiete der Zeitungungen. Zürich war dreifach belegt. Oder andersrum: Herr Lebrument hat mir die Fürstentümer der Schweizer Verleger gezeigt. Seine einzige Bemerkung war, dass dies doch eine schöne Karte sei.

Auf dem Heimweg habe ich Röbi gefragt was das sollte. Er hat mich rasch aufgeklärt: «Das, Dorian, war ein Schuss vor unseren Bug.» Wir sollen gefälligst sein Einflussgebiet in Ruhe lassen. Wie im Mittelalter. Später hatte ich übrigens ein ähnliches Erlebnis mit Herrn Lamunière, dem damals mächtigen Verleger in Lausanne.

Kurz gesagt: Dinosaurier eben.

Mit dieser Einstellung liess sich die herannahende Gefahr nicht meistern.

Dass Kernproblem seit zwanzig Jahren: Mit dem Aufkommen der Online-Dienste fliesst ein immer grösserer Kuchen der Werbeeinnahmen ins Ausland, namentlich nach Amerika (Facebook, Google & Co. lassen grüssen). Allein in den letzten 15 Jahren sind die Werbeeinnahmen der Schweizer Zeitungen um 1.5 Milliarden zurückgegangen.

Wäre eine andere Ausgestaltung möglich gewesen? Ja klar. Wir können in der Schweiz gute digitale Produkte bauen. Beispiele gibt es viele. Allerdings: Oft fehlt hier – und bei den Verlegern ganz besonders – die Bereitschaft Unbekanntes positiv anzunehmen, sprich ein Risiko einzugehen. Innovation wird skeptisch begegnet, Neues erstmal abgelehnt. Ein Quasimonopol macht halt fett und impotent, um es mit Hans Bär zu sagen.

Wir hätten den Siegeszug von Google & Co. nicht aufhalten können, aber eine gescheitere Art von Journalismus auch in Online-Zeiten, der wirtschaftlich tragfähig ist, ist möglich. Beispiele in der Schweiz wie die Republik, oder international wie der Guardian zeigen das.

So betrachtet ist das Mediengesetz, über das wir am 13. Februar abstimmen, auch der Schwanengesang einer trägen Verlegerschaft, der wir nun zu Hilfe eilen müssen, um die für unsere Demokratie so wichtige vierte Gewalt zu schützen.

* Aufgrund der damaligen Beteiligung der liebevoll P genannten PubliGroupe (wenn sie uns auf die Nerven ging, nannten wir sie etwa auch PoubellesGroupe) an unserer Firma Namics hatten wir einen Platz in der ersten Reihe. Später als Gründer und Chef von local.ch wurde ich Mithandelnder in diesem Feld.

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One Response to Das Mediengesetz oder der Schwanengesang der Schweizer Medienelite

  1. Mark E. Forster says:

    Lieber Dorian

    Schön auf den Punkt gebracht. Du sprichst mir aus der Seele.
    Ich hatte interessanterweise um 2008 fast dieselbe Aussage von einem anderen Verlag aufgetischt bekommen, sinngemäss: “Wir haben schon viel überlebt. Wir verdienen unser Geld mit Print und werden das auch weiterhin tun. Diesen Mobile-Hype werden wir in ein paar Jahren überlebt haben.”

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